1. Teil

Debüt

„Ich erblickte das Licht dieser Welt in Gestalt zweier Sechzig-Watt-Glühbirnen“. Nein, es stimmt nicht, das war ein Zitat aus einem berühmten Roman von Günter Grass. Ich habe vor Jahren einmal ein Lehrbuch über die Schriftstellerei gelesen, und da stand, man solle mit einem eindrucksvollen Satz einen Roman beginnen. Das würde Spannung erzeugen und den Leser dazu bringen weiter zu lesen. Und als ich dann auch noch las, dass man für solch einen Anfangssatz sogar einen Preis gewinnen kann wie der gerade genannte Schriftsteller, habe ich meinen ersten Satz bei ihm geklaut. Das kann nicht schaden, auch wenn er nicht zu meiner Wahrheit passt. Lesen Sie also weiter!

Ich selbst erblickte das Licht dieser Welt nämlich mittags, da schien, es war Winter, die Sonne durch das Fenster in das kleine Schlafzimmer meiner werdenden Mutter und blendete fürchterlich. Und es war kalt. Ich schrie mir fast die Lunge aus dem Leib, doch weder die Hebamme noch meine Mutter wollten mir zuhören.

Die Hebamme durchschnitt die Nabelschnur, zählte meine Finger und Zehen und stellte damit fest, dass ich gesund war, legte mich auf einem Sofa im Nebenraum ab und stülpte ein Kissen über mich, was mich nicht sonderlich erwärmte. So begann ich meine Stimme weiterhin zu kräftigen, während das Kissen die Lautstärke zu meinem Leidwesen dämpfte.

Ja, und meine Mutter konnte nicht fassen, dass sie ein Mädchen geboren hatte. Sie war 9 Monate lang absolut sicher gewesen, dass sie einen Jungen austrug, der Roland heißen sollte, und jetzt hatte sie keinen Mädchennamen zur Verfügung. Sie war den Tränen nahe.

Es war, wie schon erwähnt Mittagszeit und mein Vater verdiente gerade unseren zukünftigen Lebensunterhalt irgendwo in der Stadt. Wir hatten weder ein Telefon noch ein Auto, also lief die Frau, die sich ab jetzt Omma (O-Ton der Westfalen) nennen durfte zu seiner Arbeitsstelle, teilte ihm meine Ankunft in dieser Welt mit und kam mit ihm zusammen zurück. Mein Vater griff unter das Kissen, holte mich aus meiner unangenehmen Lage heraus, zählte meine Finger und Zehen und stellte damit ebenfalls meinen Gesundheitszustand fest. Ich war inzwischen des Schreiens müde und schlief in seinen Armen ein. Er wickelte mich in eine Decke und endlich fühlte ich mich wohl.

Die Hebamme verabschiedete sich und eilte zu ihrer nächsten Geburt. Aber, wenn ich glaubte, dass die neue kleine Familie nun Ruhe hatte, dann irrte ich gewaltig.

Meine Eltern heirateten genau 4 Monate vor meiner Geburt, nämlich als man die Schwangerschaft nicht mehr verbergen konnte. Doch sie hatten keine Wohnung, meine Großeltern mütterlicherseits hatten 5 Kinder, von denen meine Mutter die Älteste war. Sie hatten meine Eltern im Haus aufgenommen und ihnen das kleinste Zimmer überlassen. Und als dann neben dem schmalen Ehebett auch noch ein Kinderbett stand war das Zimmer vollgestellt. Die ganze Familie wollte natürlich die neue Erdenbürgerin sehen und drängelten sich an der Tür, um einen Blick auf das Baby zu erhaschen. Als endlich der kleinste Bruder, er zählte 6 Jahre, an der Reihe war und einen Blick ins Kinderbett werfen konnte fragte er meine Mutter mit ernstem Gesicht: „Kann man die heiraten?“ Die Erwachsenen lachten und erklärten, dass das nicht möglich sei. enttäuscht zog er ab. Noch heute wird er damit aufgezogen, was er stillschweigend mit einem Lächeln akzeptiert Er ist inzwischen über 70, verheiratet (nicht mit mir), hat drei Kinder und ein paar Enkel.
Er wurde übrigens mein Lieblingsonkel.

Und dann ging die Suche nach einem Namen los. Gefühlte 1000 Mädchennamen schwirrten durch die Luft. Man konnte sich nicht einigen und die Diskussion wurde erst einmal vertagt. Am nächsten Morgen kamen dann die Eltern meines Vaters. Mein Vater war das Jüngste von drei Kindern und hat als letzter geheiratet. So kamen Bruder und Schwester mit ihren Ehepartnern mit meinen anderen Großeltern und drängten sich genauso in die Eingangstür des sehr kleinen Zimmers meiner Eltern. Gleich entbrannte wieder die Diskussion um einen Mädchennamen und meine Tante, Ehefrau des Bruders meines Vaters, sollte die Patenschaft übernehmen. Ihr Kommentar: „Wenn ich Patin sein soll, dann soll das Kind auch meinen Namen tragen!“ So war das beschlossene Sache. Meine Tante hieß nur Sigismunde, oje, auch das noch. Wie kann man nur so heißen. Der Name verunziert seitdem meine Geburtsurkunde und alle nachfolgenden wichtigen Dokumente.

Wissen Sie was, Sie können mich Sina nennen, ich würde mich freuen. Als ich alt genug war, habe ich mir diesen Namen selbst gegeben und so werde ich von den meisten Leuten heute genannt.

Sina Bach