2. Teil

Neuorientierung

Ich lese ein Buch. Das ist für mich nichts außergewöhnliches, ich las schon immer gern und viel. Heute als Rentnerin liege ich nach dem Aufwachen im Bett, genieße 2 Tassen Kaffee, manchmal auch einige selbst gebackene Plätzchen und natürlich (fast) jedes Buch, das mir zwischen die Finger kommt. Dieses morgendliche Ritual ist sehr wichtig für mich, es hilft mir, jeden Tag als ein Geschenk meines Rentnerdaseins glücklich und voller Harmonie zu beginnen.

Ich lese also ein Buch, dieses Mal ist es kein Roman sondern ein Sachbuch geschrieben von einem Autor, der eigentlich bisher nur Romane, Essays und Kurzgeschichten geschrieben hat. Viele seiner Werke kenne ich schon, sie haben mir alle gefallen, alle ohne Ausnahme. Dieses Buch ist der Grund dafür, dass ich nicht, wie vorher geplant, das Tagebuch in chronologischer Reihenfolge schreiben werde. Warum auch?

Manchmal stören mich Termine, die mir ein Friseur, ein Arzt oder meine Eltern zu ausgesprochen früher Stunde festlegen und ich keine Chance habe, diese Termine zu verschieben. Jetzt werden Sie denken, was will die überhaupt? Sie ist Rentnerin, hat doch viel Zeit und die sogenannte senile Bettflucht. Stimmt, Sie haben Recht. Trotzdem fehlt mir dann dieses morgendliche Ritual, beim Arztbesuch muss ich nur ganz selten nüchtern sein, beim Friseur kann ich den Kaffee trinken, der mir im Bett entgangen ist und meine Bücher kann ich auch später lesen, und wenn ich gegen fünf Uhr morgens sowieso wach bin kann ich auch dann meine Zeit des Genießens nutzen, ich müsste also nicht verzichten.

Natürlich könnte ich, aber dann fehlt etwas, meine Freude, meine Ruhe, mein Glücksgefühl. Das Geschenk des Tages verwandelt sich in Stress und mein Tag hat mit negativem Vorzeichen begonnen. Das hält für gewöhnlich bis zum Abend an. Spätestens um 20:00 Uhr bin ich müde, so müde, dass ich vor dem Fernseher einschlafe oder besser gleich zu Bett gehe. Rechnen Sie mal nach, 7 Stunden später bin ich ausgeschlafen, das heißt also gegen 3:00 Uhr. Was mache ich dann bis zu meinem morgendlichen Ritual? Nachdenken? Das kennen Sie sicher auch, Gedanken in der Nacht sind meistens unangenehm und lassen einen nicht mehr einschlafen.

Ich setze mich also drei bis vier Stunden vor den Fernseher, um mich abzulenken. Das klappt ganz gut. Manchmal kann ich danach wieder eine Stunde schlafen, aber manchmal auch nicht. Und, damit ich dann den Tag irgendwie durchstehe, hilft mir zwar mein Ritual um 7:00 Uhr, aber nur ein wenig. Wenn also mein Mann aufwacht, dann bin ich schon seit 4 Stunden aktiv, was bedeutet, dass ich am folgenden Abend spätestens gegen 19:00 Uhr so müde werde, dass ich nach 7 Stunden…..na Sie wissen schon.

So habe ich mir mein Rentnerdasein nicht vorgestellt. Also muss ich das Wort Stress aus meinem Bewusstsein streichen, aber wie? Das Beste wäre natürlich, meine Termine auf später verlegen zu können. Fehlanzeige! Ich könnte versuchen, länger zu schlafen. Das geht ebenfalls nicht, die senile Bettflucht ist allgegenwärtig. Es bleibt also nur bei einem regelmäßigen genau organisierten Tagesablauf, und meiner beginnt eben um 7:00 Uhr mit zwei Tassen Kaffee, manchmal mit einigen selbst gebackenen Plätzchen und mit einem Buch im Bett.

Das Buch, das ich gerade lese heißt übrigens „Von Beruf Schriftsteller“, geschrieben hat es Haruki Murakami, aber davon später.

Sina Bach