Gut gelaunt und wunderbar erholt kehrte ich Freitagabend von einem zehntägigen Urlaub zurück, den ich über die Feiertage am Jahresende bei Freunden in der Nähe von Frankfurt verbracht hatte. Ich betrat die Wohnung und stellte gleich auf den ersten Blick fest, dass mein Sohn und auch meine Nachbarin jeweils im Wechsel ihre Aufgaben erfüllt hatten. Der Kanarie Hansi war mit Knabberstange und Wasser versorgt worden und hüpfte zu meiner Begrüßung aufgeregt piepsend in seinem Käfig. Der Weihnachtskaktus war gewässert worden und blühte in roten Farben. Die beiden hatten auch täglich den Briefkasten geleert und sogar die eingegangenen Sendungen nach Zeitungen, Reklame und Briefen säuberlich sortiert und geschichtet. Flüchtig ging ich die drei Stapel durch und widmete mich dann dem Auspacken des Koffers und anderen Nichtigkeiten des Alltags.
Montagmorgen traf ich Ulrike beim Einkaufen im Supermarkt. Sie freute sich mich wieder zu sehen und zeigte sich gleichzeitig enttäuscht: Warum sei ich am Vorabend nicht zu der Vernissage unserer Freundin Heidi erschienen? Sie hätte mir vor ein paar Tagen die Ankündigung geschickt. Ich schüttelte den Kopf. Ausgeschlossen! Unter meinen Briefen hatte sich keiner mit ihrem Absender befunden. Ulrike wollte nicht gern als unzuverlässig gelten. Und auch wenn der interessante Abend leider ohne meine Teilnahme verstrichen sei – ich möchte bitte noch einmal meine Post kontrollieren. Die Einladung hätte in einem nicht zu übersehenden kanariengelben Umschlag gesteckt. Ich tat ihr den Gefallen und schaute daheim auf und unter meinem Schreibtisch und auch im Papierkorb nach: nein, es war kein derart auffälliges Kuvert zu finden. Nachfragen bei meinem Sohn und bei der Nachbarin brachten ebenfalls keinen Erfolg. Und so blieb zuletzt ein Verdacht hängen, den ich natürlich für mich behielt: die manchmal etwas zerstreut wirkende Ulrike hatte den Brief an mich einfach verlegt oder versehentlich mit dem weihnachtlichen Geschenkpapier, mit Prospekten und alten Zeitungen in die Blaue Tonne entsorgt.
Ich hatte das Geschehnis und die Sucherei schon wieder vergessen, als ich eine Woche später frühmorgens am Schreibtisch saß und hörte, wie draußen die Klappe meines Briefkastens ging. Ich spazierte vor die Tür und fischte als Inhalt aus dem Kasten: überflüssige Infopost eines Kabelanbieters, eine Rechnung der Stadtreinigung, Kontoauszug der Postbank, zwei Grußkarten zu meinem Geburtstag und – was Wunder – einen kanariengelben Briefumschlag mit einem gültigen Postwertzeichen, abgestempelt zwei Wochen zuvor in meiner Stadt. Überrascht drehte ich das Kuvert in der Hand. Die Anschrift war mit einem Aufkleber verdeckt und ich las: „Sdg. nachadressiert wg. unkorrekter Anschrift. Bitte Abs. verständigen! Deutsche Post/ BZ 28. ermittelte Anschrift Hollerstr. 23, 28203 Bremen“. Vorsichtig kratzte ich mit dem Fingernagel auf dem Papier und stellte fest, dass sich der Aufkleber ohne weiteres vom Umschlag abziehen ließ. Und so konnte ich gleich darauf lesen, was er verdeckt hatte. Unter dem Aufkleber standen mein Name und die Anschrift „Hollerstr. 23, 28203 Bremen“.
Besuch am Nachmittag auf dem nahe gelegenen Postamt mit der Bitte um Aufklärung. Die freundliche Dame hinter dem Schalter versteht meine Aufregung nicht und meint in aller Unschuld: „Sie haben den Brief doch bekommen!“ Dann muss sie sich rasch um ihren Kaffeepott kümmern, der vom Überlaufen bedroht ist. Auf dem Pott prangt der Slogan: „Wir sind für Sie da – Deutsche Post DHL“
Ursula Overhage