Von: Roseliese Hess
Worüber haben Sie in Ihren Büchern geschrieben?
Ich habe mich in meinen Büchern auf bestimmte Frauen konzentriert, auf Frauen, die in der Geschichte, Literatur oder Kunst eine Rolle gespielt haben, die aber nicht genauso sichtbar geworden sind wie die Männer, hinter denen sie gestanden haben. Es geht um Frauen, die in der Vergangenheit nicht so selbstverständlich wie heute ein eigenständiges, unabhängiges Leben führen konnten, sondern mit Widerständen im privaten und beruflichen Bereich zu kämpfen hatten und sich trotzdem durchgesetzt haben. Über mein Buch „Transit Moskau“, das die beiden Schriftstellerinnen Margarete Steffin und Maria Osten behandelt, gab es bei seinem Erscheinen im Jahr 1998 eine Besprechung in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Schattenfrauen in neuem Licht“. Diese Überschrift bezieht sich auf einen Vers aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper: „Denn die einen sind im Dunkeln, und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ Ich wollte die Frauen, über die ich geschrieben habe, aus dem Dunkel heraus holen und sichtbar machen, ihre Geschichte sichtbar machen und ihre Leistung würdigen. Denn sie haben eine Geschichte, die es lohnt erzählt zu werden. Diese Geschichte wollte ich erzählen.
Die Frauen, über die ich in meinen Büchern schreibe, haben ein Leben gehabt, das es wert ist erzählt zu werden. Sie haben eine Leistung vollbracht. Sie haben ein Werk hinterlassen, das aber nicht so beachtet wurde wie das der Männer. Bertolt Brecht zum Beispiel ist eine große Gestalt im Theater und in der Literatur. Die Frauen, die mit ihm und auch für ihn gearbeitet haben und ebenfalls etwas geschaffen haben, waren lange Zeit vergessen. Ein anderes Beispiel ist die Frau des Impressionisten Lovis Corinth. Charlotte Berend-Corinth war eine begabte und in ihrer Zeit anerkannte Malerin. Sie ist dennoch hinter dem Werk ihres Mannes zurückgetreten. Corinths Gemälde hängen in den großen Museen weltweit. Seine Frau, Charlotte Berend-Corinth, fand nicht diese Bedeutung und Anerkennung, wie ihr Mann sie ganz selbstverständlich genoss, und sie geriet in Vergessenheit. Ich fand es wichtig, solchen Frauen ihr Gesicht wieder zu geben, ihnen ihre Namen wieder zu geben und sie durch meine Bücher wieder bekannt zu machen.
Warum nennen Sie die Frauen in Ihren Büchern „Frauen, die im Schatten stehen“?
Ich nannte als ein Beispiel Bertolt Brecht und Margarete Steffin. Brecht ist berühmt und man kennt seinen Namen. Wer aber kennt Steffin, die, wie Brecht selbst bekannte, „als kleine Lehrmeisterin aus der Arbeiterklasse“ Einfluss auf sein Werk hatte? Sie war seine Co-Autorin und hat darüber hinaus ein eigenes Werk, ein Theaterstück und Prosa, hinterlassen. Die Geschichte der Literatur und Kunst war lange Zeit eine männliche Domäne. Frauen standen im Schatten der Männer und stärkten ihnen den Rücken.
Erst die Frauenbewegung hat einen Wechsel der Perspektive, eine neue Sichtweise gebracht. Sie hat dafür gesorgt, dass Frauen in den Vordergrund rückten, dass sie ernst genommen und ihre Werke gewürdigt wurden.
Frauen hatten bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kein Recht auf eine akademische Ausbildung. Sie durften keine Universität besuchen. Die ersten Frauen wurden 1908 in Preußen an Universitäten zugelassen. Hochschulen waren vorher ausschließlich den Männern vorbehalten. Bildung war für Frauen nicht vorgesehen. Durch die frühe Frauenbewegung, die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte und mit der Frauen um Gleichberechtigung und das Recht auf Schule, Ausbildung und Beruf kämpften, ging es Schritt für Schritt mit der Emanzipation voran. In Deutschland wurden Frauen später als in anderen europäischen Ländern zum Studium zugelassen. Eine Möglichkeit gab es zuerst in der Schweiz. Die Universität Zürich war die erste, die Frauen zum Studium zugelassen hat, und auch Paris nahm hier eine Vorreiterstellung ein. Deutschland lag aufgrund seiner Zersplitterung und Kleinstaaterei in der Entwicklung zurück. Die Frauen hatten hier eine Menge aufzuholen und dabei auch gegen den massiven Widerstand von Berufsverbänden der Männer zu kämpfen. Standesvereinigungen wie zum Beispiel diejenigen von Juristen, Oberlehrern oder Handelsangestellten wehrten sich dagegen, dass Frauen studieren und Zugang zu ihren Berufen erhalten sollten. Dennoch entstand eine starke Frauenbewegung, aus der zahlreiche aktive Frauenvereine hervor gingen. Sie kämpften für das Frauenwahlrecht, das nach dem Ende des 1. Weltkriegs in der Weimarer Republik gesetzlich verankert wurde.
Wie lange haben Sie an Ihrem Buch „Transit Moskau“ gearbeitet?
Für die Recherche inklusive Forschungsreisen und die Erstellung des Manuskripts habe ich zwei Jahre benötigt. Das Buch erschien 1998 im Jahr von Brechts hundertstem Geburtstag und wurde dann auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert. Es ist die Geschichte zweier Frauen, die mit Brecht und für Brecht gearbeitet haben. Sie waren auch eigenständige Schriftstellerinnen, aber lange Zeit hinter dem Namen Brecht verschwunden.
Welchen Eindruck haben Sie von der Buchmesse – damals und heute? Was hat sich in Ihren Augen verändert?
Auf der Buchmesse herrscht immer viel Bewegung und es gibt jedes Jahr zahlreiche Neuerungen. Es gibt eine riesige Menge von Besuchern, Ausstellern und Veranstaltungen. Man muss sich auf diesen „Ansturm“ vorbereiten und seine Anlaufstellen gezielt heraus „picken“, um eine gewisse Übersicht zu haben und für sich etwas „mitzunehmen“. Darin hat sich nicht allzu viel verändert.
Welche Fachrichtung haben Sie studiert?
Ich habe Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und mit dem Staatsexamen abgeschlossen.
Stehen Frauen nicht heute noch im Schatten der Männer?
Die Frage kann ich so allgemein nicht beantworten. Hier kann ich nur für meinen Bereich, den des Buches, sprechen, in dem Frauen sehr stark repräsentiert sind. Der Verein „Bücherfrauen e.V.“, dem ich auch angehöre, setzt sich seit über 25 Jahren für die Förderung und Sichtbarmachung von Frauen ein. Dieses berufliche Netzwerk zeigt Stärke und großen Erfolg. Hier steht keine Frau im Schatten der Männer, sondern, im Gegenteil, im Rampenlicht auf vorderer Bühne.
Bedeutet das, dass eine Geschichte wie die von Margarete Steffin und Maria Osten, die hinter Brecht standen, in unserer heutigen Zeit so nicht mehr möglich wäre?
Das ist wohl so. Es handelt sich hier ja um ein Stück Zeitgeschichte aus dem vergangenen Jahrhundert. Die beiden Protagonistinnen meines Buches befanden sich in einer extrem schwierigen Lage, die mit der heutigen Situation hier bei uns nicht zu vergleichen ist. Mit Brecht im Exil lebten sie unter permanenter Bedrohung von außen, ständig auf der Flucht und dabei „öfter die Länder als die Schuhe wechselnd“, wie Brecht schrieb. Dennoch steckten sie alle Kraft und ihre ganze Hoffnung in ihre Arbeit, die sie für wichtig und notwendig hielten. Und niemand wusste, wie lange der Krieg dauern und ob sie das rettende Ziel – Amerika – erreichen würden. In dieser ständigen Not und Anspannung immer weiter zu kämpfen und zu arbeiten scheint mir eine gewaltige, ja beinahe übermenschliche Leistung. Das kann man nicht mehr auf die heutige Zeit übertragen.
Das Buch „Die Schwestern Berend“ erschien dann 2001
Das ist die Geschichte der Schwestern Alice und Charlotte Berend, die aus einer traditionsreichen jüdischen Familie in Berlin stammten und sich als Künstlerinnen einen Namen machten. Die ältere Schwester Alice wurde Schriftstellerin im renommierten S.Fischer-Verlag und die jüngere Charlotte, die nach ihrer Heirat den Doppelnamen Berend-Corinth annahm, wurde Malerin. Die beiden Frauen waren in ihrer Zeit erfolgreich, aber sie mussten sich ihre Anerkennung hart erkämpfen. Warum die Frauen es damals nicht leicht hatten, darüber habe ich ja schon weiter oben gesprochen. Für die beiden Schwestern Berend kam erschwerend hinzu, dass sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verfolgt und ausgegrenzt wurden. Mit ihrer Flucht aus Deutschland und der erzwungenen Emigration brach ihre Karriere ab. Alice, die ehemalige Erfolgsschriftstellerin, ging nach Italien und starb verarmt und vergessen. Charlotte, die Malerin, ging nach Amerika und konnte dort neue Erfolge verbuchen. Auch in Deutschland hatte sie nach Kriegsende wieder eine Ausstellung. Aber in der Regel war es für die meisten, die durch die Emigration ihr Publikum und ihre einstigen Verbindungen verloren hatten, nicht möglich noch einmal an ihre frühere Karriere anzuknüpfen.
Haben Sie weitere Bücher geschrieben?
Mein erstes Buch war „Wotans Rabe“ über die halbjüdische Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, die in der Zeit des Nationalsozialismus Publikationsverbot hatte. Ihr Werk ist heute in Vergessenheit geraten. Bekannt wurde sie hauptsächlich wieder durch die autobiografische Erzählung „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ ihrer Tochter Cordelia, die ihre Deportation nach Auschwitz überlebt hatte. In meinem Buch bin ich der problematischen Beziehung zwischen der Mutter und Tochter nachgegangen.Außerdem ist meine Dissertation über Stadtentwicklung und Ordensgründung im späten Mittelalter im Jahr 2014 als gedrucktes Werk in einem Wissenschaftsverlag erschienen.
Arbeiten Sie zurzeit an einem neuen Buch?
Ja, aber solange ich daran arbeite, sollte nichts darüber verraten werden.
Werden Frauen heute noch benachteiligt?
Allgemein kann ich die Frage nicht beantworten. Für meinen Bereich des Buchwesens und der Literatur empfinde ich das nicht so. Die Frauen haben sich hier einen guten Stand erkämpft. Sie sind präsent und gut vertreten. Sie haben ein professionell arbeitendes Netzwerk geschaffen. Es gibt viele Verlage, die von Frauen geführt werden. Frauen sind erfolgreich in allen Bereichen „rund ums Buch“, als Verlegerin, Lektorin, Übersetzerin, Agentin, usw. Das Netzwerk der Bücherfrauen wirbt übrigens mit dem Slogan: „Die Branche ist weiblich“. Mehr braucht man dazu eigentlich nicht zu sagen.
Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Ich freue mich sehr, dass wir Frauen im Lauf einer langen Entwicklung so viel erreicht haben. Es war ein langer Weg, der auch immer wieder von Rückschlägen unterbrochen war. Aber wir stehen heute gut da, sind stark, erfolgreich und selbstbewusst.
Also, der heutige Feminismus, das Recht von Frauen, berufstätig zu sein, eine Arbeit zu haben, sich selbständig zu machen, ohne von den Männern abhängig oder bevormundet zu sein, selbständig das eigene Leben zu bestimmen und zu gestalten, den Beruf, den man mag, frei wählen zu können, Geld zu verdienen ohne die Erlaubnis des Ehemannes einholen zu müssen – wenn das Feminismus ist, ja, dann wäre ich wohl eine Feministin.